12.06.24
Auf https://tkp.at/2024/06/10/wahlanalyse-einmal-anders/ hatte ich eine etwas andere Wahlanalyse vorgenommen und nicht Prozentzahlen verglichen, sondern nach den Menschen und ihren Motiven
gefragt. Dazu musste ich aus der Grundgesamtheit der Wahlberechtigten und den veröffentlichten Prozentzahlen auf die absoluten Zahlen zurückrechnen. Der am Abend des 09.06.24 erstellte Text wurde
am Morgen des 10.06.24 veröffentlicht. Meine Schlussfolgerung: „25,5 Mio. Anhänger der etablierten Parteien treffen auf 19,8 Mio. Menschen, die ihnen ablehnend gegenüberstehen. 19,6 Mio.
Wahlberechtigte stehen beobachtend abseits. Auf eine Million mehr oder weniger wird es aber am Ende nicht ankommen.“ Es liegt also eine tiefe gesellschaftliche Spaltung vor, die sich nicht
von selbst wieder auflösen wird.
Für die Europawahl 2024 wurde am 21.02.24 mit 64,9 Mio. Wahlberechtigten gerechnet (https://bundeswahlleiterin.de/info/presse/mitteilungen/europawahl-2024/06_24_wahlberechtigte.html). Auch das
ZDF sprach am Abend des 09.06.24 von knapp 65 Mio. Wahlberechtigten. Der Anstieg wurde mit der Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre erklärt. Nach der Veröffentlichung des vorläufigen amtlichen
Endergebnisses waren es aber nur noch 61.941.751, also 2.958.249 weniger als erwartet.
In der Vorbereitung meines Artikels für tkp.at hatte ich die Zahlen aber hinterfragt, denn bei der Bundestagswahl 2021 gab es nur 61.181.072 Wahlberechtigte und bei der Europawahl 2019, bei der
auch EU-Ausländer wahlberechtigt waren, 61.574.137. Und in den Jahren 2006 und 2007 gab es zusammen nur 1.357.586 Geburten
(https://de.statista.com/statistik/daten/studie/235/umfrage/anzahl-der-geburten-seit-1993/). Wenn man jetzt noch berücksichtigt, dass in den Jahren 2019-23 5.043.287 Menschen gestorben sind
(https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Sterbefaelle-Lebenserwartung/Publikationen/Downloads-Sterbefaelle/statistischer-bericht-sterbefaelle-tage-wochen-monate-aktuell-5126109.html)
und in den Jahren 2001-05 nur 3.551.863 geboren wurden, wären 61.440.000 Wahlberechtigte plausibel gewesen. Die Differenz von 3.460.000 hätte mit einer vermehrten Zuwandungung aus EU-Ländern und
mit mehr Einbürgerungen erklärt werden müssen. Nach der aktuellen Datenlage müsste der Migrationsfaktor bei 500.000 liegen und die restlichen 2.960.000 wären mit einem Versagen der
Bundeswahlleiterin zu erklären. Eine entsprechende Anfrage mit der Bitte um Aufklärung blieb aber bisher unbeantwortet.
Wo Menschen arbeiten, machen sie Fehler. Das darf man niemandem vorwerfen. Es kann ein einfacher Tippfehler sein, die Zahl 64,9 statt 61,9 zu verbreiten. Es sollte aber
Qualitätssicherungessysteme geben, denen der Fehler auffällt. Die haben hier offensichtlich versagt. Auch die Qualitätsmedien (z.B. ZDF) haben die „knapp 65 Mio. Wahlberechtigten“ offenbar nicht
hinterfragt. Seit Corona ist das kreuz- und querdenken nicht mehr erwünscht, und das ist eine Voraussetzung zum Hinterfragen. Oder die Qualitätsmedien sind wie ich zu der Erklärung „Migration“
gekommen, die dann politisch-korrekt nicht genannt werden durfte. Egal ob Organisationsversagen oder Absicht - den offiziellen Quellen darf nicht blind vertraut werden. Hinterfragen ist wichtiger
denn je!
Die aktuelle Tabelle mit den absoluten Stimmergebnissen ist jetzt:
Wahlberechtigte
Wähler
Ungültige
Gültige
CDU
GRÜNE
SPD
AfD
CSU
DIE LINKE
FDP
BSW
Die PARTEI
FREIE WÄHLER
Tierschutzpartei
ÖDP
FAMILIE
Volt
PIRATEN
MERA25
NPD / Heimat
TIERSCHUTZ hier!
PARTEI FÜR DIE TIERE
BP
Graue Panther
Die Grauen
Gesundheitsforschung
BIG
Tierschutzallianz
Bündnis C
Die Humanisten /PdH
Volksabstimmung
DIE FRAUEN
LKR
Bündnis Deutschland
BGE
MENSCHLICHE WELT
LIEBE
DIE VIOLETTEN
DIE DIREKTE!
DIE RECHTE
DKP
MLPD
NL
III. Weg
SGP
AGB
die Basis
DAVA
Klimaliste
letzte Generation
PDV
PdF
V-Partei
Übrige
EU 2024
61.941.751
40.128.348
332.136
39.796.212
9.431.567
4.736.913
5.548.528
6.324.008
2.513.300
1.091.268
2.060.457
2.453.652
775.392
1.062.132
570.498
257.968
243.975
1.023.161
186.773
118.616
41.006
173.443
18.935
31.141
75.053
82.275
164.477
54.098
14.945
13.553
5.923
26.506
99.502
148.724
31.504
104.340
29.508
227.631
55.440
39.796.212
BT 2021
61.181.072
46.854.508
412.485
46.442.023
8.775.471
6.852.206
11.955.434
4.803.902
2.402.827
2.270.906
5.319.952
461.570
1.127.784
675.353
112.314
165.474
169.923
64.574
32.790
19.443
49.349
13.672
39.868
47.711
11.159
3.786
12.967
14.925
17.799
7.832
1.417
630.153
31.884
349.578
46.442.023
EU 2019
61.574.137
37.811.971
422.740
37.389.231
8.437.093
7.675.584
5.914.953
4.103.453
2.354.817
2.056.010
2.028.353
898.386
806.590
541.984
370.006
273.755
248.824
243.363
130.072
101.323
99.731
85.722
81.881
76.172
71.282
71.006
68.654
68.597
66.228
62.613
58.541
55.258
43.965
40.834
35.794
34.447
33.152
27.814
25.530
24.627
20.419
18.340
15.943
12.822
5.293
37.389.231
BT 2017
61.688.485
46.976.341
460.849
46.515.492
12.447.656
4.158.400
9.539.381
5.878.115
2.869.688
4.297.270
4.999.449
454.349
463.292
374.179
144.809
173.476
176.020
58.037
10.009
23.404
32.221
5.991
9.631
97.539
11.661
2.054
11.558
29.785
1.291
64.073
182.154
46.515.492
EU 2014
61.998.824
29.843.798
488.706
29.355.092
8.812.653
3.139.274
8.003.628
2.070.014
1.567.448
2.168.455
986.841
184.709
428.800
366.598
185.244
202.803
-
425.044
-
301.139
-
-
62.438
-
-
-
-
-
-
-
88.535
-
-
-
-
-
-
-
-
-
25.147
18.198
-
-
8.924
309.200
29.355.092
Daraus ergibt sich folgende Stärke der verschiedenen Lager:
etablierte Parteien
+ mobilisierbar
distanziert
ablehnend
nicht erreichbar
24.300.000
7.500.000
4.600.000
19.300.000
6.200.000
61.900.000
39,1 %
12,1 %
7,4 %
31,2 %
10,0 %
zuerst erschienen am 10.06.24 auf https://tkp.at/2024/06/10/wahlanalyse-einmal-anders/
Eine typische Kommentierung einer Wahl geht von den Prozentwerten der einzelnen Parteien aus und versucht, die Gründe für Veränderungen zu benennen. Hier soll ein anderer Ansatz gewählt werden,
der von den absoluten Zahlen ausgeht. Aus dem Vergleich von 5 Wahlen der letzten 10 Jahre soll versucht werden, die Größe von Gruppen mit grundsätzlich ähnlichen Einstellungen in Deutschland
abzuschätzen. Verschiebungen zwischen SPD und CDU sind dafür ohne Bedeutung.
Am 27.03.24 wurde auf https://tkp.at/2024/03/27/europa-wahlaufruf-2024/ ein Wahlaufruf von Gesprächskreisen von Auslandsdeutschen aus Spanien (Costa Brava, Costa Blanca, Golf von Almeria, Costa
del Sol, Baskenland) veröffentlicht, an dem der Verfasser beteiligt war. Das Thema Migration hatten sie ausgespart, denn sie sind selbst Migranten. Sie wären aber wohl in der Lage, auch hierzu
einen Diskussionsbeitrag zu liefern. Ihr Anspruch war dagegen, die seit Corona deutlich sichtbaren Demokratiedefizite zu thematisieren.
Am 26.01.2022 sagte der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) im Bundestag: „Statt einer Impfpflicht benötigen wir deutlich mehr Vertrauen; sonst wird die Demokratie immer mehr Schaden nehmen.
23,4 Prozent Nichtwählende, 10,3 Prozent AfD-Wählende, und 8,7 Prozent wählten bewusst Parteien, die nicht in den Bundestag einziehen - sie alle, alle diese Gruppen, sind fertig mit der
etablierten Politik, und zwar von der CSU bis einschließlich der Linken. Darüber müssen wir uns sehr viel mehr Gedanken machen. 37,5 Prozent der Bevölkerung vertrauen der etablierten Politik
nicht mehr. (Tino Chrupalla [AfD]: Zu Recht!) … Wir müssen uns wesentlich mehr Gedanken machen, wie man Vertrauen herstellen kann: durch eine allgemeinverständliche Sprache, durch die Angabe der
wahren Beweggründe für Entscheidungen, durch die Überwindung des gesamten Lobbyismus und vor allem durch deutlich mehr Ehrlichkeit. (Beifall bei der LINKEN)“ (zitiert nach dem
Plenarprotokoll)
Man könnte jetzt kleinlich kritisieren, dass es eigentlich 38,6 % Ablehnung wären, weil Gysi die ungültigen Stimmen nicht berücksichtigt hat und diesen Wählern Schusseligkeit statt politische
Absichten unterstellt. Statt einer verständlichen Sprache verwendete auch Gysi einen Gender-Kauderwelsch, und ist mit diesem Kritikpunkt auch nicht sehr glaubwürdig. Die „wahren Beweggründe für
Entscheidungen“ hätte Gysi mit den Profitinteressen der Pharma- und Rüstungsindustrie und die Schmiergelder ihrer Lobbyisten konkreter benennen sollen.
Trotzdem kann man jetzt aber Gysis Berechnung aktualisieren und sie auf eine breiter Grundlage stellen. Zunächst wurden die genauen Zahlen der letzten 4 bundesweiten Wahlen, also der letzten
beiden Bundestags und Europawahlen zusammengetragen. Die Zahl der Wahlberechtigten sank kontinuierlich. Für die Europawahl 2024 wird aber mit 64,9 Mio. Wahlberechtigten gerechnet
(https://bundeswahlleiterin.de/info/presse/mitteilungen/europawahl-2024/06_24_wahlberechtigte.html), 3,3 Mio. mehr als 5 Jahre zuvor. Das kann teilweise mit der Absenkung des Wahlalters erklärt
werden. Bei 1.357.586 Geburten in den Jahren 2006 und 2007 (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/235/umfrage/anzahl-der-geburten-seit-1993/) wären das aber nur ca. 1,3 Mio. zusätzliche
Wahlberechtigte. Todesfälle in diesen Jahrgängen wurden nur mit der Abrundung berücksichtigt. 2 Mio. müssten auf den Zuzug aus anderen EU-Ländern und vermehrte Einbürgerungen zurückgeführt
werden. Weiter ist zu berücksichtigen, dass in den letzten 5 Jahren etwa 5.059.000 Menschen gestorben sind und bei 3.551.863 Geburten in den Jahren 2001-05
(https://de.statista.com/statistik/daten/studie/235/umfrage/anzahl-der-geburten-seit-1993/) nur ca. 3,5 Mio. erwachsen wurden. Der erklärungsbedürftige Zuwachs der Wahlberechtigten dürfte also
bei ca. 3,5 Mio. liegen.
An den beiden letzten Bundestagswahlen nahmen jeweils ca. 46,9 Mio. Wähler teil. Bei allen vier Wahlen gab es unabhängig von der Wahlbeteiligung zwischen 412.485 und 488.706 ungültige Stimmen;
Tendenz abnehmend. Dem stand eine Zunahme der Stimmen für Kleinparteien gegenüber. Die große Mehrheit dürfte also absichtlich ungültige Stimmen abgegeben haben, statt bewusst nicht zur Wahl zu
gehen.
Die genauen Zahlen für die Europawahl 2024 sind noch nicht verfügbar. Sie müssen aus den veröffentlichten Prozentzahlen für die Parteien aus den Hochrechnungen und der Wahlbeteiligung
zurückgerechnet werden. Zusätzlich werden pauschal 400.000 ungültige Stimmen unterstellt. Die verfügbaren Daten der Vergangenheit sind:
Wahlberechtigte
Wähler
Ungültige
Gültige
CDU
GRÜNE
SPD
AfD
CSU
DIE LINKE
FDP
Die PARTEI
FREIE WÄHLER
Tierschutzpartei
ÖDP
FAMILIE
Volt
PIRATEN
MERA25
NPD / Heimat
dieBasis
Übrige
BT 2021
61.181.072
46.854.508
412.485
46.442.023
8.775.471
6.852.206
11.955.434
4.803.902
2.402.827
2.270.906
5.319.952
461.570
1.127.784
675.353
112.314
165.474
169.923
64.574
630.153
654.180
EU 2019
61.574.137
37.811.971
422.740
37.389.231
8.437.093
7.675.584
5.914.953
4.103.453
2.354.817
2.056.010
2.028.353
898.386
806.590
541.984
370.006
273.755
248.824
243.363
130.072
101.323
1.204.665
BT 2017
61.688.485
46.976.341
460.849
46.515.492
12.447.656
4.158.400
9.539.381
5.878.115
2.869.688
4.297.270
4.999.449
454.349
463.292
374.179
144.809
173.476
176.020
539.408
EU 2014
61.998.824
29.843.798
488.706
29.355.092
8.812.653
3.139.274
8.003.628
2.070.014
1.567.448
2.168.455
986.841
184.709
428.800
366.598
185.244
202.803
425.044
301.139
512.442
Die Parteien sollen jetzt zu verschiedenen Gruppen zusammengefasst werden. Da sind zunächst die jetzigen und früheren Regierungsparteien CDU, CSU, SPD, Grüne und FDP. Ihre Wähler wechseln
anscheinend nur zwischen diesen Parteien. Dieser Teil der Wähler wählt eine Regierung und nicht eine grundsätzliche Richtung.
Eine zweite Gruppe bilden Parteien, die im Notfall für eine Regierung zur Verfügung stehen. Linke und Freie Wähler sind an Landesregierungen beteiligt und wirken hier als Mehrheitsbeschaffer. Ihr
Einfluss ist begrenzt. Ihren Wählern ist anscheinend nur an Kurskorrekturen gelegen. Eine völlige Entmachtung der bisherigen Regierungsparteien und eine grundsätzliche Erneuerung des politischen
Systems scheinen die Repräsentanten dieser Gruppe wohl auch nicht zu wollen. Das Bündnis Sahra Wagenknecht dürfte ihr vermutlich zuzurechnen sein. Einen genauere Einschätzung ist aber noch nicht
möglich.
Die Wähler der AfD wissen, dass ihre Stimmen keine Koalitions- oder Minderheitsregierung stützen werden. Sie wollen deshalb wohl eine Entmachtung der bisherigen Regierungsparteien und eine
grundlegende Erneuerung des politischen Systems. Damit ist aber keine Ablehnung der Demokratie verbunden; im Gegenteil! Das Ziel ist eine Erneuerung der Demokratie mit einer Erneuerung des
Parteiensystems, wie z.B. in Frankreich oder Italien. Die gleiche Motivation ist bei den Wählern der Kleinparteien zu vermuten. So wird es auch den Wählern der Tierschutzpartei mehr um Protest
als um ein Verbot des Fleischkonsums gehen. Bei der Bundestagswahl 2021 kam es nur zu einer Umschichtung zwischen diesen beiden Gruppen, die zusammen bei 7,74 Mio. Stimmen geblieben sind. Bei den
Europawahlen gab es 2019 einen Zuwachs von 3,9 Mio. und 2024 nochmals um 2,2 Mio. Stimmen.
Aus der ARD-Hochrechnung von 19:58 für die Wahl vom 09.06.24 ergeben sich folgende geschätzte und aufbereitete Zahlen:
Ampel + Union
Linke, FW, BSW
AfD
Kleinparteien
ungültig
Nichtwähler
Wahlberechtigte
EU 2024
25.530.635
4.679.920
6.769.170
4.805.275
400.000
22.715.000
64.900.000
BT 2021
35.305.890
3.398.690
4.803.902
2.933.541
412.485
14.326.564
61.181.072
EU 2019
26.410.800
2.862.600
4.103.453
4.012.378
422.740
23.762.166
61.574.137
BT 2017
34.014.574
4.760.562
5.878.115
1.862.241
460.849
14.712.144
61.688.485
EU 2014
22.509.844
2.597.255
2.070.014
2.177.979
488.706
32.155.026
61.998.824
Jörg Schönenborn vom WDR kommentierte am 09.06.2024 um 18:24 Uhr: „Vor allem SPD und Grüne wurden bei der Europawahl für ihre Regierungsarbeit abgestraft. Bemerkenswert ist zudem, dass die
Einstufung der AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall der Partei nicht geschadet hat. … Die Wählerinnen und Wähler der Partei hat das nicht abgeschreckt, sie zeigen sich in unseren
Nachwahlbefragungen mehrheitlich überzeugt von der Partei, der Anteil der Proteststimmen ist gesunken.“ (https://www.tagesschau.de/europawahl/wahl/analyse-244.html) Es hat nicht erkennen wollen,
dass die AfD oft nicht trotz, sondern wegen der Ausgrenzung und Verteufelung durch die etablierten Parteien gewählt wird.
Wenn man nun die Gysi-Aussage vom 26.01.2022 mit den Daten der Europawahl 2024 aktualisieren will, muss vor allem die unterschiedliche Wahlbeteiligung eingeordnet werden. Die Aussage „... alle
diese Gruppen, sind fertig mit der etablierten Politik, und zwar von der CSU bis einschließlich der Linken. ... 37,5 Prozent der Bevölkerung vertrauen der etablierten Politik nicht mehr.“ hat bei
den 14 Mio. Nichtwählern einen Ablehnung gegenüber der etablierten Politik unterstellt. Das kann für 8,4 Mio. zusätzliche Nichtwähler bei der Europawahl aber nicht gelten. Gysis 37,5 % wären mit
dieser Anpassung also nach seiner Formel (wenn die Nichtwähler der letzten Bundestagswahl verwendet würden) auf 39,9 statt 37,5 % angewachsen. Die Lager dürften also ziemlich verfestigt
sein.
Mit den vorliegenden Daten ist folgende Schätzung der Größe der Strömungen möglich:
etablierte Parteien
+ mobilisierbar
distanziert
ablehnend
nicht erreichbar
25.500.000
8.400.000
4.700.000
19.800.000
6.500.000
64.900.000
39,3 %
12,9 %
7,2 %
30,5 %
10,0 %
Die Ampel- und Unionsparteien können zusammen auf 25,5 Mio. Wähler zählen und wahrscheinlich weitere 8,4 Mio. mobilisieren. 4,7 Mio. Wähler von Linken, Freien Wählern und Sahra Wagenknecht wollen
anscheinend keine grundsätzliche Änderung der etablierten Politik, wohl aber Korrekturen. Ihnen könnten auch Gewinne aus dem mobilisierbaren Potential gelingen. Das ablehnende Lager besteht dann
noch aus ungültig-Wählern, hartnäckigen Nichtwählern sowie den Wählern der AfD und der Kleinparteien. Es kann jetzt noch diskutiert werden, ob nicht auch einige Kleinparteien eher dem
distanzierten Lager zuzurechnen sind. Es geht aber um die Motivation der Wähler, und nicht um die Parteiprogramme. Den Wählern ist bewusst, dass ihre Stimme als Protest außerhalb der AfD
wahrgenommen wird. Bemerkenswert ist das Ergebnis von Volt, die bei den Jungwählern ein starkes Ergebnis erzielt hat. Thematisch hat es sich von den etablierten Parteien kaum unterschieden, die
Jugend wollte dann wohl die etablierten Parteien als Institutionen abwählen. Mit dem Gewicht der Kleinparteien wird auch deutlich, dass es kein Bündnis der Regierungskritiker geben wird, das sich
auf eine gemeinsame Strategie zur Entmachtung der bisherigen Regierungsparteien einigen könnte. Von den Nichtwählern wurden noch pauschal 10 % der Wahlberechtigten als für die Politik „nicht
erreichbar“ eingeschätzt, die sich also auch nicht gegen die etablierten Parteien stellen würden.
Es dürften sich also zwei große Lager gegenüberstehen. 25,5 Mio. Anhänger der etablierten Parteien treffen auf 19,8 Mio. Menschen, die ihnen ablehnend gegenüberstehen. 19,6 Mio.
Wahlberechtigte stehen beobachtend abseits. Auf eine Million mehr oder weniger wird es aber am Ende nicht ankommen. Die gegnerischen Lager sind zu groß, als dass sich eines auflösen könnte.
Die Gegensätze werden sich wohl eher verschärfen, denn das Establishment verweigert seinen Kritikern jedes Gespräch. Eigentlich wäre eine solche Spaltung der Gesellschaft ein Grund, den Dialog zu
suchen. Politiker können aber nur Monolog; sie können nicht zuhören. Früher hätten sich in solchen Situationen Bundespräsidenten wie Heinemann, Weizsäcker oder Rau eingeschaltet. Der aktuelle
Amtsinhaber ist aber Teil des Problems und er vertieft die Spaltung sogar. Nach dem 26.01.22 hat auch Gregor Gysi dieses Thema nicht wieder aufgegriffen. Am Ende wird man aber eine Persönlichkeit
aus dem Kreis der etablierten Parteien brauchen, die mit einem Versuch der Überwindung der gesellschaftlichen Spaltung beginnen muss.