CSU und Linke haben sofort nach der Verabschiedung der Wahlrechtsreform eine Verfassungsbeschwerde gegen die Reform des BWahlG angekündigt. Ich habe bereits am 13.06.23 eine Verfassungsbeschwerde hiergegen eingereicht, aber wahrscheinlich mit einer anderen Begründung.

 

Nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG wirken die Parteien nur an der Willensbildung mit.In der Wirklichkeit wird die Willensbildung aber von den Parteien monopolisiert. Weiter greife ich die 5-%-Klausel in ihrer Gesamtheit an, nicht nur den Wegfall der Grundmandatsklausel. Diese Argumentation hätten die Kleinparteien gründlich prüfen sollen. Sie haben sich meiner Initiative aber nicht angeschlossen.

 

Aus dem Arbeitsplan des Bundesverfassungsgerichts für 2024: 

 

Am 23. und 24.04.24 fand in Karlsruhe die mündliche Verhandlung statt. Hierzu wurde ich als Beschwerdeführer nicht geladen; vier andere Bürger, die individuelle Verfassungsbeschwerden eingereicht hatten, vermutlich auch nicht. Stattdessen trat eine regierungstreue Nichtregierungsorganisation als Vertreter der Bürger auf, ohne ein Mandat von ihnen zu haben. Ihrer Verfassungsbeschwerde haben sich 4.242 Unterstützer angeschlossen, aber ohne an dem Inhalt mitgewirkt zu haben.

 

Darauf habe ich am 20.05.24 gegenüber der Berichterstatterin in dem Verfahren meine Verwunderung über diese Vorgehensweise ausgedrückt. Nach weitere Überlegung habe ich mich dann aber entschlossen, auch formal einen Befangenheitsantrag zu  stellen. Die Texte gebe ich hier wieder:

    27. Mai 2024

 

Weitere Begründung sowie Befangen-heitsantrag zur Verfassungsbeschwerde vom 13.06.23, Az. 2 BvR 790/23

 


In der Sache der Verfassungsbeschwerde von

    Prof. Dr. Werner Müller, ...
     vom 13.06.23, Az. 2 BvR 790/23

werden die Vizepräsidentin Prof. Dr. König und die Berichterstatterin Prof. Dr. Wallrabenstein wegen der Besorgnis der Vergangenheit abgelehnt. Sollte das Gericht den Antrag nach § 19 Abs. 2 BVerfGG für unzulässig halten, wird hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand beantragt.


S a c h v e r h a l t :

Am 13.06.2023 hat der Antragsteller gegen die Änderung des Bundeswahlgesetzes durch Artikel 2 des Gesetzes vom 8. Juni 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 147) eingelegt. Mit Schreiben vom 23.06.2023 wurde ihm der Eingang bestätigt und das Aktenzeichen 2 BvR 790/23 mitgeteilt. Weitere Mitteilungen des Gerichts hat der Antragsteller nicht erhalten. Ihm ist insbesondere nicht mitgeteilt worden, dass seine Verfassungsbeschwerde nach § 93a Abs. 1 BVerfGG zur Entscheidung angenommen wurde. Er hat auch keine Ladung zur mündlichen Verhandlung über die Normenkontrollklagen der Bayerischen Staatsregierung, Az. 2 BvF 1/23, von 195 Mitgliedern des Deutschen Bundestages, Az. 2 BvF 3/23 sowie der Verfassungsbeschwerde des Vereins „Mehr Demokratie e.V.“, Az. vermutlich 2 BvR 1523/23 oder 2 BvR 1547/23 erhalten, die lt. Medienberichten am 23. und 24.04.2024 stattfand. Der Antragsteller hat keine Kenntnis darüber, ob vor dem Sitzungssaal ggf. die Aktenzeichen aller Verfassungsbeschwerden 2 BvR 790/23, 2 BvR 842/23, 2 BvR 1120/23, 2 BvR 1209/23, 2 BvR 1523/23, 2 BvR 1547/23 ausgehängt wurden. Er hat auch keine Kenntnis darüber, ob den anderen Beschwerdeführern Beschlüsse nach § 93a Abs. 1 BVerfGG oder Ladungen zur mündlichen Verhandlung zugestellt wurden.

Mit Schreiben vom 20.05.2023 hat der Antragsteller Berichterstatterin um Aufklärung zu dieser Vorgehensweise gebeten, bisher aber keine Antwort erhalten. Wegen des nahen Endes der Jahresfrist am 08.06.24 und seinem Wunsch, angesichts der Argumentation von „Mehr Demokratie e.V.“ seine Gründe zu ergänzen, wird jetzt keine Antwort mehr abgewartet.


Z u l ä s s i g k e i t :

Der Ablehnungsantrag ist zulässig; § 19 Abs. 2 BVerfGG steht dem nicht entgegen. Mangels formgerechter Ladung und ohne Annahmebeschluss nach § 93a Abs. 1 BVerfGG wurde über die Verfassungsbeschwerde des Antragstellers bisher nicht mündlich verhandelt. Das würde auch dann gelten, wenn irrtümlich das Aktenzeichen 2 BvR 790/23 vor dem Sitzungssaal ausgehängt worden sein sollte. Dieser Ablehnungsantrag ist deshalb nicht unbeachtlich.

Sollte das Gericht der Meinung sein, dass trotz des Verfahrensmangels am 23. und 24.04.23 auch über die Verfassungsbescherde des Antragstellers verhandelt worden sei, so ist ihm die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren. Er durfte darauf vertrauen, dass ohne Annahmebeschluss und ohne Ladung nicht über seine Sache verhandelt worden sein konnte und er hätte die rechtzeitige Stellung des Antrags ohne eigenes Verschulden versäumt.


G r ü n d e :

Für die Richterablehnung genügt die bloße Besorgnis der Befangenheit. Dabei ist auf die Wahrnehmung des Antragstellers abzustellen. Wenn er vernünftige und nachvollziehbare Gründe hat, an der Unbefangenheit einzelner Richter zu zweifeln, ist die Besorgnis gegeben.

Aus dem bisherigen Verfahren ist eine Bevorzugung des Vereins „Mehr Demokratie  e.V.“ und eine Benachteiligung der übrigen Beschwerdeführer zu erkennen. Entweder wurde diese Beschwerde bevorzugt zur Entscheidung angenommen, während über die 4 Monate zuvor eingereichte Beschwerde des Antragstellers auch nach fast einem Jahr noch immer nicht entschieden wurde, oder ihm wurden anders als dem Verein „Mehr Demokratie e.V.“ der Beschluss über die Annahme zur Entscheidung und die Ladung zur mündlichen Verhandlung nicht zugestellt. Diese Ungleichbehandlung lässt an der Unbefangenheit der daran beteiligten bzw. dafür verantwortlichen Richter zweifeln.

Es ist nicht unsachlich, wenn der Beschwerdeführer diese Ungleichbehandlung in den Zusammenhang anderer Beobachtungen einordnet, die für sich genommen vielleicht noch keine Besorgnis der Befangenheit begründen würden. Die Besorgnis der Befangenheit kann sich dann auch aus der Ungleichbehandlung in Zusammenhang mit diesen anderen Beobachtungen ergeben.

Ein weiterer Grund für den Verdacht sachfremder Entscheidungsgründe ist die extrem niedrige Erfolgsquote von Verfassungsbeschwerden. „Insgesamt hat das BVerfG im Jahr 2021 5.352 Eingänge verzeichnet, wovon 95 Prozent Verfassungsbeschwerden waren. ... 67 Verfassungsbeschwerden waren erfolgreich. Die Erfolgsquote lag damit bei 1,29 Prozent. … In nur 4,2 Prozent der Kammerentscheidungen erhielten Beschwerdeführer eine Begründung. In 79,4 Prozent wurde von einer Begründung gänzlich abgesehen. In weiteren 16,4 Prozent der Fälle gab es ausschließlich eine Tenorbegründung.“ (Wolters Kluwer Deutschland GmbH, https://www.lto.de/ recht/justiz/j/bverfg-2021-begruendungen-nichtannahmen-jahrestatistik-2021/, 23.02.22) Der Antragsteller kennt den Rechtssatz: Judex non calculat. Ihm als Ökonom sind die Fachgebiete der Mathematik und Statistik aber näher. Das gilt auch für den nach dem italienischen Ökonomen Vilfredo Pareto benannten Pareto-Effekt. Nach dessen Beobachtungen wäre eine Ablehnungsquote von 80 % plausibel. 98,71 % Ablehnungen können aber nicht mehr auf einer schlechten Argumentation aller dieser Beschwerdeführer beruhen. Diese Zahl deutet nach den Erkenntnissen der Statistiker also sehr stark auf sachfremde Gründe für die Zurückweisung von Verfassungsbeschwerden hin. Diese Beobachtung begründet auch dann Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Gerichts, wenn die Gründe hierfür erklärbar sind.
 
Bei einer Normalität nach Pareto wären möglicherweise 80 % der Verfassungsbeschwerden unbegründet. Diese bereits hohe Quote kann eine Erwartungshaltung entstehen lassen, dass wohl auch die nächste zu prüfende Verfassungsbescherde unbegründet sei. Es entsteht unwillkürlich eine sich ständig verstärkende Erwartungshaltung, dass die Eingaben nicht-prominenter Normalbürger keine Substanz haben können. Dadurch entsteht langsam ein Vorurteil gegenüber dem gemeinen Volk. Aber auch ein schwer vermeidbares Vorurteil ist eine Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit. Wenn nach Pareto von 20 % begründeten Beschwerden ausgegangen würde und die Erfolgsquote nur bei 1,3 % liegt, wären neben den unbegründeten auch 93,5 % der begründeten Verfassungsbeschwerden zurückgewiesen worden. Hierin liegt mindestens ein statistischer Anscheinsbeweis für Zweifel an der richterlichen Unbefangenheit.

Es können durchaus auch die wissenschaftlichen Mitarbeiter, die die eingehenden Verfassungsbeschwerden sichten, in vorauseilendem Gehorsam eine Erwartungshaltung verspüren, nur sehr wenige Fälle für eine Annahme zur Entscheidung vorzuschlagen. Am Ende tragen aber die Richter auch für das Verhalten ihrer Mitarbeiter die Verantwortung. Die geringe Erfolgsquote wäre deshalb ein Anlass gewesen, die Vorauswahl mindestens in Stichproben genauer zu untersuchen. Wenn dies unterblieben wäre, würden Fehlentscheidungen billigend in Kauf genommen.

Aus der Verbindung der aufgezeigten Ungleichbehandlung im vorliegenden Verfahren und der dargelegten Anzeichen für latente Vorurteile gegenüber nicht-prominenten Normalbürgern ergeben sich mindestens für die Berichterstatterin und die Vorsitzende des Zweiten Senats, die die allgemeine Verantwortung für ein korrektes Verfahren hat, begründete Zweifel an ihrer Unbefangenheit.


S c h l u s s f o l g e r u n g :

Der Antragsteller kann keine Anträge für die Parallelverfahren 2 BvF 1/23, 2 BvF 3/23, 2 BvR 842/23, 2 BvR 1120/23, 2 BvR 1209/23, 2 BvR 1523/23 und 2 BvR 1547/23 stellen. Er geht aber davon aus, dass die abgelehnten Richter in den Parallelverfahren nicht unbefangen sein können, wenn für das Verfahren 2 BvR 790/23 Gründe für Zweifel an der Unbefangenheit vorliegen. Sie müssten sich in diesen Verfahren selbst für befangen erklären. Der Antragsteller geht deshalb davon aus, dass die mündliche Verhandlung für alle Verfahren nach einem Beschluss nach § 93a Abs. 1 BVerfGG und einer ordnungsgemäßen Ladung der 5 wahrscheinlich nicht geladenen Normalbürger wiederholt werden muss.


Weitere Begründung der Verfassungsbeschwerde vom 13.06.23:
 
Die Frist für die Einreichung von Verfassungsbeschwerden gegen das Gesetze vom 8. Juni 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 147) endet am 08.06.24. Damit hat der Beschwerdeführer die Möglichkeit, bis zu diesem Tag auch seine vorgetragenen Gründe zu ergänzen.

Die grundsätzlich interessante Argumentation des Vereins „Mehr Demokratie e.V.“ hinsichtlich der Fragen „notwendig“, „geeignet“ und „verhältnismäßig“ liegt neben der Sache. Diese Prüfung gilt bei einer Konkurrenz widerstreitender Grundrechte. Das Wahlrecht nach Art. 38 Abs. 1 GG ist aber kein individuelles Grundrecht, sondern es ist die unmittelbare Konsequenz aus dem Grundsatz der Volkssouveränität des Art. 20 Abs. 2 GG. Wenn alle staatliche Gewalt vom Volk ausgeht und der Volkeswille in Wahlen und Abstimmungen ausgedrückt wird, kann schon wegen der Bedeutung des Wortes „alle“ dieser Wille des Volkes nicht hinter anderen Interessen zurückstehen. Die Wahlen können eindeutige Mehrheiten hervorbringen, sie müssen es aber nicht. Das Volk kann sich andere Politiker wählen, die Politiker können sich aber kein anderes Volk wählen!

Aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG folgt deshalb, dass die gewählten Abgeordneten grundsätzlich mit jedem Wahlergebnis leben müssen; von der nicht einfachen Möglichkeit der Herbeiführung vorgezogener Neuwahlen einmal abgesehen. Das GG verlangt an keiner Stelle die Bildung von Koalitionsregierungen mit einer parlamentarischen Mehrheit. Das Parlament muss sich nur auf die Person eines Bundeskanzlers einigen, der dann seine Minister vom Bundespräsidenten ernennen lässt. Die Gesetzgebung kann auch per Initiative einzelner Fraktionen erfolgen, die sich dann wechselnde Mehrheiten für ihre Anliegen suchen müssen. Eine Handlungsunfähigkeit des Parlaments würde also nicht von den Wählern und „falschen Wahlergebnissen“ verursacht, sondern von einer mangelnden Gesprächsbereitschaft und Kompromissunfähigkeit der gewählten Abgeordneten. Die Forderung nach regierungsfähigen Mehrheiten ist also kein Argument, das die Einschränkung der Volkssouveränität und die Verzerrung der Wahlergebnisse mittels einer Sperrklausel, die die Anhänger kleiner Parteien oder Wählerinitiativen zu einer anderen Wahlentscheidung nötigt,  rechtfertigen könnte.

Wenn das Volk in Wahlen seinen Willen in einer Weise ausdrückt, die die Herstellung regierungsfähiger Mehrheiten erschwert oder verhindert, ist also auch dieser Wille des Volkes zu respektieren. Andernfalls müsste man im Extremfall sogar ein Parteiengesetz mit der Bildung einer Einheitspartei und dem Verbot aller übrigen Parteien rechtfertigen, denn diese hätte in jedem Fall eine Mehrheit im Parlament und sie würde es der von ihr unterstützten Regierung sehr leicht machen, zu regieren. Ebenso würde auch die Abschaffung der Pressefreiheit oder des Demonstrationsrechts das Regieren erleichtern. Alle diese Maßnahmen würden aber die Demokratie abschaffen. Nach Art. 79 Abs. 3 GG ist eine Verfassungsänderung, mit der die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, unzulässig. Das muss dann erst Recht für die Auslegung des Grundgesetzes gelten. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG kann auch deshalb bei der Gestaltung des Wahlrechts nicht zur Disposition stehen.

Für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Sperrklausel ist es auch ohne Bedeutung, wem sie nützt und wem sie schadet. Dass nach aktuellen Umfragen die AfD und wohl auch das BSW sie überspringen und FDP und LINKE daran scheitern würden und dass bei einem Wegfall der Sperrklausel die AfD wahrscheinlich viele Stimmen an kleine Parteien verlieren würde, darf kein Argument sein.


Schreiben vom ...

            20. Mai 2024



Meine Verfassungsbeschwerde vom 13.06.23, 2 BvR 790/23


Sehr geehrte Frau Prof. Wallrabenstein,

aus den Medien habe ich erfahren, dass am 23. und 24.04.24 das Bundesverfassungsgericht in mündlicher Verhandlung über mehrere Verfassungsbeschwerden gegen die Änderung des Bundeswahlgesetzes beraten hat. Neben den von der Union, der Linken und der Bayerischen Staatsregierung eingereichten Klagen gibt es eine Verfassungsbeschwerde des Vereins „Mehr Demokratie e.V.“ (MD) und 5 Verfassungsbeschwerden von Bürgern; darunter meine. MD hat Prof. Klingreen mit der Vertretung beauftragt und um Unterstützer geworben. Die 4.242 Unterstützer dieser MD-Initiative hatten auf den Inhalt der Verfassungsbeschwerde keinen Einfluss.

Die fünf Bürger, die sich mit individuellen Verfassungsbeschwerden gegen die Änderung des Bundeswahlgesetzes an Sie gewandt hatten, kamen in den Medien nicht vor. Ich gehe davon aus, dass nicht nur ich, sondern auch die übrigen vier Bürger nicht zur mündlichen Verhandlung geladen wurden und ihnen wie mir noch nicht einmal der Termin dieser Verhandlung vorab mitgeteilt wurde. Diese Vorgehensweise halte ich für sehr befremdlich. Ich möchte klarstellen, dass ich der regierungstreuen Nichtregierungsorganisation MD und auch Prof. Klingreen keine Vollmacht erteilt habe, mich am 23. und 24.04.24 zu vertreten. Ich bitte Sie deshalb um eine Mitteilung, warum ich als Beschwerdeführer nicht zur mündlichen Verhandlung geladen und noch nicht einmal darüber informiert wurde, dass diese am 23. und 24.04.24 stattfinden würde. Nach meinem jetzigen Kenntnisstand halte ich diese Benachteiligung mindestens einer Prozesspartei mit der richterlichen Unabhängigkeit für nicht vereinbar. Ich kann aktuell nicht beurteilen, ob Sie als Berichterstatterin diese Benachteiligung persönlich zu vertreten haben und ob deshalb ein Grund vorliegt, der Zweifel an Ihrer Unabhängigkeit rechtfertigen kann. Ich gehe aber davon aus, dass Sie sich selbst diese Frage stellen werden.

Ich halte es für möglich, dass die MD-Initiative eine Reaktion auf die beiden frühen Beschwerden 2 BvR 790 und 842/23 ist, mit der MD den Beschwerden normaler Bürger den Wind aus den Segeln nehmen und diese mit der Hilfe von 4.242 Claqueuren als Querulanten darstellen wollte. Das könnte an meiner Person festgemacht worden sein, weil ich wegen meiner Fähigkeit, ohne behördliche Ernennung (selbsternannt) in alle Richtungen (kreuz und quer) denken zu können, seit über 4 Jahren in diese Richtung öffentlich herabgewürdigt werde. Dann müsste die Regierung frühzeitig informiert worden sein, wonach sie Hilfstruppe in Stellung bringen konnte. Darüber, wie  dies erfolgt sein kann, möchte ich nicht spekulieren. Ein unabhängiges Gericht sollte sich aber nicht von der Strategie einer regierungstreuen Nichtregierungsorganisation beeinflussen lassen und jede Beschwerde individuell behandeln.

Es ist festzustellen, dass die Jahresfrist für die Einreichung von Verfassungsbeschwerden gegen die Wahlrechtsreform noch nicht abgelaufen ist. Folglich kann auch die Begründungsfrist für meine frühe Beschwerde noch nicht abgelaufen sein. Die möchte ich hiermit ergänzen.

Ich möchte auch daran erinnern, dass ich mich anders als MD auch gegen die Neufassung des § 18 Abs. 1 BWahlG gewandt habe. Diese Vorschrift erlaubt nur Parteien und nicht Bürgern (die nicht nur sich selbst vorschlagen müssten), Bürger- oder Wählerinitiativen, zu Bundestagswahlen Vorschlagslisten einzureichen. Dieser Ausschluss von Bürgern sowie unstetigen Organisationen und ihrer Mitglieder von passiven Wahlrecht ist mit Art. 38 Abs. 1 GG ebenso unvereinbar, wie mit Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG, denn alle Staatsgewalt geht vom Volke aus, und nicht von den Parteien, deren Mitglieder nur ca. 2 % der Bevölkerung ausmachen und die an der Willensbildung nur mitwirken, sie aber nicht monopolisieren dürfen. Der Anspruch der 98 % Nicht-Partei.Mitglieder auf das passive Wahlrecht wird damit ebenso verletzt wie der Gleichbehandlungsgrundsatz, denn Nicht-Parteimitglieder dürfen nur als Direktkandidaten in Wahlkreisen kandidieren. Sollten Sie beabsichtigen, meine Verfassungsbeschwerde mit einem Urteil bzgl. der Klagen der Bundestagsabgeordneten und der Bayerischen Staatsregierung für erledigt zu erklären, so muss ich schon jetzt klarstellen, dass dies nicht der Fall ist, denn meine Beanstandung des Parteienmonopols im § 18 Abs. 1 BWahlG hatten diese Klagen eben sowenig vorgebracht wie die Verfassungsbeschwerde des Vereins „Mehr Demokratie e.V.“.  

Zu § 4 Abs. 2 Satz 2 BWahlG wird angesichts der Argumentation von MD betont, dass es wegen der hohen Bedeutung des Art. 20 Abs 2 Satz 1 GG keinerlei Grund geben kann, diesen Grundsatz der Volkssouveränität in irgendeiner Weise einzuschränken. Wenn das Volk in Wahlen seinen Willen in einer Weise ausdrückt, die die Herstellung regierungsfähiger Mehrheiten erschwert oder verhindert, ist auch dieser Wille des Volkes zu respektieren. Andernfalls müsste man im Extremfall sogar ein Parteiengesetz mit der Bildung einer Einheitspartei rechtfertigen, denn diese hätte in jedem Fall eine Mehrheit im Parlament und sie würde es der von ihr unterstützten Regierung sehr leicht machen, zu regieren. Ebenso würde auch die Abschaffung der Pressefreiheit oder des Demonstrationsrechts das Regieren erleichtern, aber die Demokratie abschaffen. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG kann deshalb nicht zur Disposition stehen.

Aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG folgt deshalb, dass die gewählten Abgeordneten mit jedem Wahlergebnis leben müssen; von der nicht einfachen Möglichkeit der Herbeiführung vorgezogener Neuwahlen einmal abgesehen. Das GG verlangt an keiner Stelle die Bildung von Koalitionsregierungen mit einer parlamentarischen Mehrheit. Das Parlament muss sich nur auf die Person eines Bundeskanzlers einigen, der dann seine Minister ernennen lässt. Die Gesetzgebung kann dann auch per Initiative einzelner Fraktionen erfolgen, die sich dann wechselnde Mehrheiten für ihre Anliegen suchen müssen. Auch ein „Kuhhandel“, stimmst du für meine Initiative, dann stimm ich für deine Initiative, wäre verfassungskonform.  

Die Forderung nach regierungsfähigen Mehrheiten ist also kein Argument, das die Einschränkung der Volkssouveränität und die Verzerrung der Wahlergebnisse mittels einer Sperrklausel rechtfertigen könnte. Die Wähler können eindeutige Mehrheiten hervorbringen, müssen es aber nicht. Das Volk kann sich andere Politiker wählen, die Politiker können sich aber kein anderes Volk wählen! Die Argumentation hinsichtlich der Fragen „notwendig“, „geeignet“ und „verhältnismäßig“ erübrigt sich deshalb. Sie gelten ohnehin nur für die  Einschränkung von Grundrechten und nicht für die Einschränkung der Volkssouveränität.

Ich distanziere mich ausdrücklich von dem abschließenden Arguemtment der Beschwerdeschrift von MD. Für die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Sperrklausel ist es ohne Bedeutung, wem sie nützt und wem sie schadet. Dass nach aktuellen Umfragen die AfD und wohl auch das BSW sie überspringen und FDP und LINKE daran scheitern würden und dass bei einem Wegfall der Sperrklausel die AfD aktuell viele Stimmen an kleine Parteien verlieren würde, darf kein Argument sein. Dass dies überhaupt vorgetragen wurde ist ein wesentlicher Grund dafür, dass ich den Verein „Mehr Demokratie e.V.“ als regierungsabhängige Nichtregierungsorganisation einschätze, der sich damit als Beschützer der Demokratie und Vertreter der einfachen Bürger disqualifiziert hat.

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Werner Müller


 

Ich hatte die Wahrscheinlichkeit als hoch eingeschätzt, dass meine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen wird. Deshalb war es mir wichtig, meine Argumente in die Öffentlichkeit zu bringen. Die Frist für die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde beträgt ein Jahr, sie läuft also am 08.06.24 ab. Wer sich noch meiner Beschwerde anschließen will, kann meine Vorlage gern verwenden. Ich verzichte ausdrücklich auf mein Urheberrecht.

 

 

Hier der Text:

13. Juni 2023

Verfassungsbeschwerde

 


von Prof. Dr. Werner Müller,                                                                                       - Beschwerdeführer -

gegen

Artikel 2 des Gesetzes vom 8. Juni 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 147).

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen § 4 Abs. 2 Satz 2 sowie gegen § 18 Abs. 1 BWahlG in der Fassung des Artikel 2 des Gesetzes vom 8. Juni 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 147). Es wird beantragt, § 4 Abs. 2 Satz 2 BWahlG insgesamt und in § 18 Abs. 1 BWahlG die Worte „nach Maßgabe des § 20“ für nichtig zu erklären.

zur Zulässigkeit:


Beide Regelungen wurden durch das angefochtene Gesetz vom 08.06.23 neu gefasst, weshalb die Verfassungsbeschwerde nach § 93 Abs. 3 BVerfGG zulässig ist. Ob ggf. auch schon eine Vorgängerregelung verfassungswidrig gewesen sein könnte und eine Verfassungsbeschwerde gegen diese Vorgängerregelung verfristet gewesen wäre, ist unerheblich. Der Beschwerdeführer beabsichtigt, für die nächste Bundestagswahl ein Personenbündnis zu organisieren und in ihm für den Bundestag zu kandidieren, was ihm aber durch § 18 Abs. 1 BWahlG verwehrt ist. Sollte sich dieses Bündnis als Partei i.S.d. § 2 Abs. 1 PartG konstituieren, wäre diese durch § 4 Abs. 2 Satz 2 BWahlG in ihrer Chancengleichheit behindert, was auch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen würde. Der Beschwerdeführer wird auch in seinem aktiven Wahlrecht behindert, weil seine Stimme für einen Wahlvorschlag, der von § 4 Abs. 2 Satz 2 BWahlG betroffen wäre, nicht gezählt würde.

zur Regelung in § 18 Abs. 1 BWahlG:


Nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG wirken die Parteien nur an der Willensbildung mit. Die Bedeutung des Wortes „Mitwirkung“ sagt aber, dass sie die politische Willensbildung aber nicht monopolisieren dürfen. Auch das BVerfG-Urteil des Zweiten Senats vom 24. Januar 2023 - 2 BvF 2/18 - stellte in Rn. 106 fest: „Nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG wirken die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Daneben nehmen auch einzelne Bürgerinnen und Bürger sowie gesellschaftliche Gruppierungen, Vereinigungen und Verbände an der Meinungs- und Willensbildung des Volkes teil (vgl. BVerfGE 20, 56 <114>; 41, 399 <416 f.>; 85, 264 <284>)“
(https://www.Bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2023/01/fs20230124_ 2bvf000218.html)

Der Grundsatz der allgemeinen und gleichen Wahl des Art. 38 Abs. 1 GG gilt auch für das passive Wahlrecht, das nach Art. 3 Abs. 1 GG nicht nur Parteimitgliedern oder den Parteien loyalen Parteilosen, die auf ihren Listen kandidieren, zustehen darf. Es muss aus der Kombination beider Regeln auch für Einzelbewerber und Bürgerinitiativen außerhalb von Parteien möglich sein, in den Bundestag gewählt zu werden. Auch Bürgerinitiativen nehmen an der politischen Willensbildung teil, sie sind aber nach § 18 Abs. 1 BWahlG von einer Teilnahme an Wahlen ausgeschlossen. Einzelbewerber können aktuell nur in einem Wahlkreis und nicht mit Landeslisten oder bundesweit kandidieren.

Nach § 2 Abs. 1 PartG sind Parteien „… Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten.“ Bürgerinitiativen richten sich dagegen meistens nur gegen einzelne politische Fragen, wie z.B. die Corona-Maßnahmen, die Verunstaltung der deutschen Sprache durch ein Gender-Kauderwelsch oder die deutsche Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland. Es könnten sich auch Dafür-Initiativen bilden, z.B. für einen Austritt aus der EU oder der NATO. Sie bilden sich, wenn sich die Mitglieder der Bürgerinitiativen von den Parteien bei ihrem Anliegen nicht repräsentiert fühlen. Hier finden sich dann Menschen zusammen, die in anderen Fragen stark unterschiedliche Meinungen haben können. Es muss aber den Wählern überlassen werden, ob ihnen dieses Thema ebenfalls so wichtig ist, dass sie daran ihre Wahlentscheidung ausrichten. Solchen Bürgerinitiativen fehlen deshalb wesentliche Definitionselemente von Parteien.

§ 18 Abs. 1 BWahlG erlaubt aber nur Parteien und nicht Bürger- oder Wählerinitiativen, zu Bundestagswahlen Vorschlagslisten einzureichen. Dieser Ausschluss unstetiger Organisationen und ihrer Mitglieder von passiven Wahlrecht ist mit Art. 38 Abs. 1 GG ebenso unvereinbar, wie mit Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG  i.V.m. Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG, denn alle Staatsgewalt geht vom Volke aus, und nicht von den Parteien, deren Mitglieder nur ca. 2 % der Bevölkerung ausmachen. Der Anspruch der 98 % Nicht-Mitglieder auf das passive Wahlrecht wird damit ebenso verletzt wie der Gleichbehandlungsgrundsatz, denn Nicht-Parteimitglieder dürfen nur als Direktkandidaten in Wahlkreisen kandidieren.

zum Verstoß gegen Art. 21 Abs. 1 i.V.m. 38 Abs. 2 GG:


Die Demokratie ist keine natürliche Herrschaftsform, sondern eine Errungenschaft der menschlichen Kulturen. Sie wird nur dann auf Dauer von den Menschen unterstützt werden, wenn sie sich als die bessere Herrschaftsform erweist. Würde sie nur Versager als Führungsperson hervorbringen oder korrupte Strukturen herausbilden, würden die Bürger einen „starken Mann“ wählen, wenn sie sich von ihm eine kompetente Führung versprechen würden.

In der Natur gilt das Recht des Stärkeren. In der Jungsteinzeit haben die Menschen in den stark gewachsenen Gemeinschaften aber erkannt, dass viele Schwache gemeinsam stärker sind als wenige Starke. Zudem stellte sich heraus, dass nicht die Stärkeren die besseren Anführer sind, sondern die Klügeren. Weil auch ein Bauernhof oder ein Handwerk von den Vätern an die Söhne weitergegeben wurde, wurde der Übergang des Berufs eines Anführers an die Söhne akzeptiert und es konnte erwartet werden, dass die Prinzen ihr Handwerk von den Königen gelernt hatten. Das Machtmonopol der Feudalherren wankte erst, nachdem mit dem Buchdruck ein Bildungsbürgertum entstand, und die herrschenden Dynastien eher als bildungsferne Schichten anzusehen waren. Die Demokratie war also kein Selbstzweck, sondern ein Instrument, um eine inkompetente Führungsschicht abzulösen und einen Mechanismus zu schaffen, um wie in der Jungsteinzeit die klügsten Köpfe in die Führung des Staates zu berufen.

Art. 21 Abs. 1 steht also in einem Zusammenhang mit Art. 33 Abs. 2 GG. Die Parteien sind danach angehalten, Kandidaten für öffentliche Ämter „nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung“ auszuwählen, und nicht nach Frauen-, Migranten-, sexuelle-Minderheiten- oder Links-Rechts-Quoten. Parteibuch- oder Vetternwirtschaft verstößt gegen Art. 33 Abs. 2 GG; Parteien, die diese praktizieren, sind i.S.d. Art. 21 Abs. 2 GG darauf ausgerichtet, „die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen“. Bringen sie inkompetente und korrupte Personen in Ministerämter oder andere leitende Funktionen, untergraben sie das Vertrauen der Bürger in den demokratischen Staat. Regelungen im Wahlrecht, die dies fördern und die Selbstreinigungs- und Erneuerungsprozesse des politischen Systems behindern, sind nicht mit Art. 20 Abs. 2 GG zu vereinbaren.

Angesichts dieser Wechselwirkung hat das Grundgesetz den Parteien nur ein Mitwirkungsrecht und kein Monopol auf die politische Willensbildung eingeräumt. Aus dem Zusammenspiel von Art. 21, 33 und 38 GG ergibt sich auch die Notwendigkeit, dass immer wieder neue politische Kräfte entstehen müssen und etablierte Parteien auch in der Bedeutungslosigkeit versinken können. Ein politisches System, dessen Kernbereich das Wahlrecht ist, darf diesen politischen Erneuerungs- und Selbstreinigungsmechanismus nicht blockieren. Das geschieht aber mit §§ 4 Abs. 2 Satz 2 und 18 Abs. 1 BWahlG, die die Entstehung von aussichtsreicher Konkurrenz für die etablierten Parteien behindern.

zur Regelung in § 4 Abs. 2 Satz 2 BWahlG (5-%-Klausel):


Der Gesetzgeber hat mit dem neuen § 4 Abs. 2 BWahlG aus dem Artikel 2 des Gesetzes vom 8. Juni 2023 (BGBl. 2023 I Nr. 147) auch die ausdrückliche Vorgabe aus dem BVerfG-Urteil vom 26. Februar 2014 - 2 BvE 2/13 u.a. / 2 BvR 2220/13 u.a. - missachtet. Dort heißt es in Rn 57: „Eine einmal als zulässig angesehene Sperrklausel darf daher nicht als für alle Zeiten verfassungsrechtlich unbedenklich eingeschätzt werden. Eine abweichende verfassungsrechtliche Beurteilung kann sich ergeben, wenn sich die Verhältnisse wesentlich ändern. Findet der Wahlgesetzgeber in diesem Sinne veränderte Umstände vor, so muss er ihnen Rechnung tragen. Maßgeblich für die Frage der weiteren Beibehaltung, Abschaffung oder (Wieder-)Einführung einer Sperrklausel sind allein die aktuellen Verhältnisse (vgl. BVerfGE 120, 82 <108>; 129, 300 <322>). Der Gesetzgeber ist nicht daran gehindert, auch konkret absehbare künftige Entwicklungen bereits im Rahmen der ihm aufgegebenen Beobachtung und Bewertung der aktuellen Verhältnisse zu berücksichtigen; maßgebliches Gewicht kann diesen jedoch nur dann zukommen, wenn die weitere Entwicklung aufgrund hinreichend belastbarer tatsächlicher Anhaltspunkte schon gegenwärtig verlässlich zu prognostizieren ist.“ Gegenüber der Ausformulierung der 5-%-Klausel im Jahr 1956 haben sich die Verhältnisse erheblich verändert.

Am 26.01.2022 sagte der Abgeordnete Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) im Bundestag: „Statt einer Impfpflicht benötigen wir deutlich mehr Vertrauen; sonst wird die Demokratie immer mehr Schaden nehmen. 23,4 Prozent Nichtwählende, 10,3 Prozent AfD-Wählende, und 8,7 Prozent wählten bewusst Parteien, die nicht in den Bundestag einziehen - sie alle, alle diese Gruppen, sind fertig mit der etablierten Politik, und zwar von der CSU bis einschließlich der Linken. Darüber müssen wir uns sehr viel mehr Gedanken machen. 37,5 Prozent [eigentlich 38,6 %, Dr. Gysi hat die ungültigen Stimmen nicht berücksichtigt und diesen Wählern Schusseligkeit statt politische Absichten unterstellt; Anmerkung des Beschwerdeführers] der Bevölkerung vertrauen der etablierten Politik nicht mehr. (Tino Chrupalla [AfD]: Zu Recht!) … Wir müssen uns wesentlich mehr Gedanken machen, wie man Vertrauen herstellen kann: durch eine allgemeinverständliche Sprache [z.B. statt des auch vom Abgeordneten Gysi verwendeten Gender-Kauderwelschs; Anmerkung des Beschwerdeführers], durch die Angabe der wahren Beweggründe für Entscheidungen [z.B. die Profitinteressen der Pharmaindustrie und die Schmiergelder ihrer Lobbyisten; Anmerkung des Beschwerdeführers], durch die Überwindung des gesamten Lobbyismus und vor allem durch deutlich mehr Ehrlichkeit. (Beifall bei der LINKEN)“ (zitiert nach dem Plenarprotokoll)

Dieser treffenden Analyse einer erheblichen Politiker-Verdrossenheit hätte bei der Reform des Wahlrechts mit einer Beseitigung der 5-%-Klausel begegnet werden müssen, statt mit einer Verschärfung durch den Wegfall der Grundmandatsklausel im bisherigen § 6 Abs. 3 BWahlG die Situation noch zu verschärfen. Im BVerfG-Urteil vom 26. Februar 2014 - 2 BvE 2/13 u.a. / 2 BvR 2220/13 u.a. - heißt es in Rn 60: „Vor diesem Hintergrund kann jedenfalls die allgemeine und abstrakte Behauptung, durch den Wegfall der … Sperrklausel werde der Einzug kleinerer Parteien und Wählergemeinschaften in die Vertretungsorgane erleichtert und dadurch die Willensbildung in diesen Organen erschwert, einen Eingriff in die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit nicht rechtfertigen. Deshalb genügt die bloße ‚Erleichterung‘ oder ‚Vereinfachung‘ der Beschlussfassung nicht. Nur die mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwartende Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Vertretungsorgane aufgrund bestehender oder bereits gegenwärtig verlässlich zu prognostizierender künftiger Umstände kann die … Sperrklausel rechtfertigen (vgl. BVerfGE 120, 82 <114>; 129, 300 <323>).“

Nach der Gysi-Analyse wird die Demokratie aktuell nicht von einer Zersplitterung bedroht, sondern von einer Verkrustung des politischen Systems, von einer Unzufriedenheit weiter Teile der Bevölkerung mit den politischen Parteien bei gleichzeitigen Versuchen dieser Parteien, die politische Willensbildung zu monopolisieren und abweichende Meinungen im Parlament wie auch in den Medien auszugrenzen und sie damit zu unterdrücken. Die im genannten BVerfG-Urteil geforderte Notwendigkeit eines Eingriffs in die Grundsätze der Wahlrechtsgleichheit und der Chancengleichheit liegt schon deshalb nicht vor, weil solche Eingriffe in der aktuellen Situation nicht geeignet sind, die Bedrohung für die Demokratie abzuwenden; sie sind vielmehr kontraproduktiv. Kontraproduktive Maßnahmen können aber weder notwendig, noch geeignet, noch verhältnismäßig sein.

Problematisch ist an § 4 Abs. 2 BWahlG auch, dass die Nichtwähler und ungültigen Stimmen den übrigen Parteien zugeschlagen werden. Nach Abs. 38 Abs. 1 GG sind die Abgeordneten die Vertreter des ganzen Volkes. Wenn aber 24,1 % der Wahlberechtigten allen Kandidaten durch Wahlenthaltung oder die Abgabe einer ungültigen Stimme das Vertrauen verweigern und weitere 6,5 % der Wahlberechtigten Parteien gewählt haben, die keine Chance auf Mandate hatten, dann sind die gewählten Abgeordneten nicht die Vertreter dieser 30,6 % der Wahlberechtigten. Das sie trotzdem die diesen Bürgern zustehenden Mandate einnehmen, verstößt gegen den Grundsatz der allgemeinen und unmittelbaren Wahl.
 
Dieser Widerspruch wäre dadurch aufzulösen, dass die auf Nichtwähler und ungültige Stimmen entfallenden Mandate nicht vergeben würden, sowie mindestens die Vorschlagslisten Mandate erhielten, die eine Stimmenzahl von der Gesamtzahl der Wahlberechtigten geteilt durch die zu vergebenden Mandate erreichten. 2021 waren das 61.181.072 : 598 = 102309,4849; also mindestens 102.310 Stimmen. Dann hätte der Deutsche Bundestag 450 Mitglieder, 144 Mandate blieben für Nichtwähler und ungültige Stimmen frei, 4 weil 24 Listen die 102.310 Stimmen nicht erreicht hätten. Die Mandatsverteilung wäre folgende:

                         Wählerwille                                                   Reform    aktuell
SPD                           117    Diese Mandatsverteilung           188        206
CDU                             86    würde den Willen der                 138        152
GRÜNE                        67    Wähler zutreffend                       107        118
FDP                              52    abbilden.                                         83          92
AfD                               47                                                             75          83
CSU                              23    Die 102.310-Stimmen-                  38          45
DIE LINKE                    22    Grenze müsste für die                    0          39
FREIE WÄHLER            11    Wahlkreis-Kandidaten   
Tierschutzpartei           7    vorrangig gelten.
dieBasis                         6    Überhangmandate müssten
Die PARTEI                     5    vergeben werden, wenn ein
Team Todenhöfer        2    Bewerber mit mindestens
PIRATEN                         2    102.310 Erststimmen sonst
Volt                                 2    bei der Vergabe der Mandate       
ÖDP                                1    nicht berücksichtigt würde.   
SSW                                0                                                                1            1
                                   450                                                            630        736
nicht vergeben        148

Die freibleibenden Mandate wären der mutmaßliche Wille der Nichtwähler und solcher Wähler, die den Stimmzettel absichtlich ungültig machen. Auch dieser Wählerwille muss nach Art. 38 Abs. 1 GG berücksichtigt werden.
 
Die Schieflage würde sich noch verstärken, wenn unterstellt würde, dass die CSU bei sonst gleichen Ergebnissen wie 2021 80.727 Stimmen an die Freien Wähler abgegeben und damit weniger als 5 % der Zweitstimmen erreicht hätte. Dieses Ergebnis wird in der folgenden Tabelle mit der Spalte „ohne CSU“ simuliert. Eine Gegenüberstellung in Prozent der Mandate, die wegen der unterschiedlichen Zahl der Abgeordneten sinnvoll ist, ergibt folgendes Bild:

             Wählerwille    Reform     … ohne CSU    aktuell
SPD              26,0%        29,8%        31,7%            28,0%
CDU             19,1%        21,9%        23,3%            20,7%
GRÜNE        14,9%        17,0%        18,1%            16,0%
FDP              11,6%        13,2%        14,1%            12,5%
AfD               10,4%        11,9%        12,7%            11,3%
CSU                5,1%          6,0%                                 6,1%
DIE LINKE      4,9%                                                   5,3%
übrige            8,0%          0,2%           0,1%             0,1%

Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass § 4 Abs. 2 Satz 2 BWahlG insgesamt und in § 18 Abs. 1 BWahlG die Worte „nach Maßgabe des § 20“ für nichtig zu erklären sind.  

Download
Verfassungsbeschwerde-BWahlG.pdf
Adobe Acrobat Dokument 129.4 KB
Download
Eingangsbestätigung vom 20.06.2023
2BvR790-23.pdf
Adobe Acrobat Dokument 312.6 KB