Ob Art. 5 Abs. 1 Satz 2 + 3 GG (Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.) auch auf Webseiten
anwendbar ist, kann kontrovers diskutiert werden. Man könnte meinen, die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und die Pressefreiheit nach Satz 2 und 3 wären zwei gesonderte Grundrechte,
wobei die Meinungsfreiheit den Bürgern und die Pressefreiheit den Verlagen zustünde. Dann wäre aber das Recht der Bürger auf Berichterstattung ebensowenig geschützt wie das Recht der Verlage auf
die Verbreitung von Meinung. Vor 50 Jahren wurde die Pressefreiheit auch kritisch gesehen: „Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten. Frei ist,
wer reich ist. Das Verhängnis besteht darin, daß die Besitzer der Zeitungen den Redakteuren immer weniger Freiheit lassen, daß sie ihnen immer mehr ihren Willen aufzwingen.“ (Paul Sethe in „Der
SPIEGEL“ Nr. 34 v. 15.08.66, S. 12) Danach war das Recht der Verleger, ihre Meinungen zu verbreiten, unbestritten; warum nicht auch das Recht der Bürger auf Berichterstattung?
Mit dem zweiten Teil des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, der Rundfunk und Film einbezieht, sollte die Pressefreiheit auch auf neue Massenmedien ausgedehnt werden. Nach Art. 146 GG sollte das Grundgesetz
nur ein Provisorium sein, das nach der bald erwarteten Wiederereinigung durch eine neue Verfassung ersetzt werden sollte. Es war also nicht nötig, dass die Formulierung auch der technische
Entwicklung nach 65 Jahren noch gerecht werden könnte. Das Fernsehen konnte noch problemlos als Rundfunk verstanden werden. Es sollte aber mit der Pressefreiehit nicht ein Privileg für das
Gewerbe der Zeitungsverleger geschaffen und sie sogar vor der Konkurrenz durch neue Medien geschützt werden.
Wenn man den Kommentar von Sethe (der nicht wirklich die Pressefreiheit kritiserte, sondern die Konzentration im Verlagswesen) mit der Formulierung des Art. 5 GG vergleicht, dann kann es die
Verfassung nicht wirklich gewollt haben, nur die Freiheit der Verleger zu schützen. Es ging vielmehr um den Schutz der freien Presse als Voraussetzung für eine freie Gesellschaft und eine
funktionierende Demokratie. „Pressefreiheit ist Demokratieschutz durch Institutionenschutz.“ (Gero von Randow, Die Pressefreiheit muss wachsen,
http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-08/netzpolitik-org-meinungsfreiheit-pressefreiheit) „Sie soll bestimmte Institutionen schützen, ... mit denen sich die Öffentlichkeit konstituiert. Die
wiederum ist Voraussetzung der Demokratie.“ (ebenda) Unter den aktuellen technischen Bedingungen konstituiert sich die Öffentlichkeit auch um Internet-Blogger. Die Pressefreiheit wird damit zu
einer Freiheit der breiten Volksmasse und nicht mehr nur das Recht von zweihundert reichen Leuten. Das ist auch gut so! Die Tendenz zu einer weiten Auslegung ist in den Urteilen des
Bundesverfassungsgerichts erkennbar. So schützt das Grundrecht der Pressefreiheit auch die Entscheidung, Zuschriften Dritter anonym zu veröffentlichen. Damit wird dem Grundsatz Rechnung getragen,
daß sich die Freiheitsgarantie nicht nur auf den Inhalt, sondern auch auf die Form der Publikation bezieht (vgl. BVerfGE 60, 234 [239 f.]). Zur Form gehört auch der Kanal; gedrucktes Papier und
die elektronische Verbreitung sind also gleich zu behandeln.
Natürlich kann wohl nicht jedem Facebook-Post oder Kommentaren in Internet-Foren den Status von Presseorganen zugebilligt werden. Von Art. 5 GG sind aber die Regelungen zu trennen, nach denen
Presseausweise vergeben werden. Einer weiten Auslegung der Grundrechte nach dem Motto „Im Zweifel für die Freiheit“ steht also nichts entgegen. Wenn eine Website erkennbar auf die sachliche
(nicht unbedingt neutrale ) Information der Öffentlichkeit
gerichtet ist, kann ihr die Ähnlichkeit zur Presse nicht abgesprochen werden. Dann gilt auch für diese Seiten: Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung ... werden gewährleistet.
Eine Zensur findet nicht statt.