Lage an der polnisch-ukrainischen Grenze

 

Ich habe vom 5. bis 7. März mit einem Bekannten eine alte Frau von der polnisch-ukrainischen Grenze abgeholt. Sie lebte eigentlich auf der Krim, hat aber auch eine Eigentumswohnung in Kiew. Nach dem Auszug des Mieters wollte sie sich um die Renovierung kümmern - sie war also zur falschen Zeit am falschen Ort! Sie floh nicht aus Angst vor den Russen, sondern weil sie von den Ukrainern als russische Spionin angefeindet wurde.

 

Dadurch bin ich der Problematik des Krieges etwas näher gekommen. Die Reise hat 45 Stunden gedauert und es war eine Fahrt von etwa 3.000 km. Die Frau konnte am 5. März mit einem Zug in die westukrainische Stadt Lemberg (Lwow) evakuiert werde. Es war aber unklar, wie sie von dort weiterreisen sollte. Im Internet konnte man mehrere Zugeverbindungen über die polnische Grenze nach Przemyśl finden. Es war aber nicht zu erwarten, dass einen Platz in diesen Zügen bekommen würde. Ich hatte für diesen Fall zugestimmt, zuerst nach Polen und dann über die Grenze nach Lemberg zum Bahnhof zu fahren.

 


Als die Frau anrief, dass sie in den Zug nach Lemberg eingestiegen ist, sind wir losgefahren. Wir haben für die 1.350 bis zum Bahnhof in Pzemyzl etwa 11 Stunden benötigt. Der Zug benötigte für die etwa 550 km 7 Stunden. Die Frau teilte uns am Telefon mit, dass der Bahnhof in Lemberg völlig überfüllt war, und dass sie keinen Zug erreichen konnte. Aber vor dem Bahnhof standen mehrere Busse, die in verschiedene polnische Städte fuhren. Sie wollte dort einen Platz suchen und uns später anrufen, welchen Grenzübergang der Bus passieren würde. Dort sollte sie hinter der Grenze aussteigen und wir würden sie dort abholen. Eigentlich kamen nur zwei Grenzübergänge in Betracht, und zwar Korczowa-Krakowez an der Autobahn oder Medyka-Schehyni an der Landstraße nach  Przemyśl. Aus der Stadt konnten wir beide schnell erreichen. Ich musste nicht über die urkainische Grenze fahren. Also fuhren wir weiter zu unserem Ziel. Abends sahen wir, wie der Bahnhof von der Polizei abgesperrt war. In der Stadt waren keine ukrainischen Flüchtlinge zu sehen. Es standen dort aber viele Autos aus verschiednen europäischen Ländern, die wahrscheinlich Menschen abholen wollten.

 

(Straßensperre in Richtung Ukraine)

 

Nachts um 1 Uhr bekamen wir den Anruf, dass ihr Bus an einem Grenzübergang angekommen war. Es war aber Krościenko-Smolnica, ein weit entfernter Ort im Karpartengebirge. Jetzt musste ich 70 km über enge Straßen durch die Berge fahren, wofür wir 3 Stunden brauchten. Als wir dort um 4 Uhr nachts ankamen war der Bus noch immer in der Grenzkontrolle. Von Hilfsorganisationen waren dort Zelte aufgebaut, es kamen aber kaum Menschen aus der Ukraine über die Grenze. Etwa alle 10 Minuten kamen kleine Gruppen von Fußgängern, die dann in die Zelte geführt wurden. Es waren selten mehr als 5 Personen. Ganz selten passierte ein Auto mit ukrainischen Kennzeichen die Grenze, und Busse sahen wir überhaupt nicht. In die Gegenrichtung war die Grenze von den polnischen Grenzern gesperrt. Zumindest an diesem Grenzübergang hätte ich nicht in die Ukraine fahren können, um jemanden abzuholen.

 

(wartende Abholer)

 

Angesichts der Schilderung von der ukrainischen Seite erwarteten wir auch auf der polnischen Seite Menschenmassen. Das Bild von den vielen Flüchtlingen ist wahrscheinlich nur deshalb entstanden, weil sie von der Grenzkontrolle nicht durchgelassen wurden. Ob die Polen oder die Ukrainer dafür verantwortlich waren, kann ich nicht sagen. Der Bus hat aber etwa 15 Stunden in der Kontrolle gestanden, und wir haben in der Kälte auf der anderen Seite gewartet - natürlich konnten wir im Auto sitzen. In den Bergen lag noch etwas Schnee.

 

(Zelte der Malteser; hier warteten hauptsächlich Abholer)

 

(ein griechisches Fernsehteam)

 

(leerer Grenzübergang aus Richtung Ukraine)

 

Nachdem die alte Frau von einer Hilfsorganisation Essen bekommen hat, konnten wir um etwa 16.00 Uhr die Rückfahrt starten. Dafür brauchen wir ca. 14 Stunden. Zusammen fuhren wir also 28 Stunden mit dem Auto und wir warteten 17 Stunden. Wäre ich noch zum Bahnhof nach Lemberg gefahren, hätte ich wahrscheinlich auch 15 Stunden in der Warteschlange gestanden, sofern die Polen mich durchgelassen hätten. Wahrscheinlich hat der Busfahrer sogar den abgelegenen Ort gewählt, weil er dort eine kürzere Wartezeit erwartet hat.


Im Auto berichtete die Dame, dass jeder Mann ab 18 eine automatische Waffe bekam, und dass die Interessenten eher zwielichtige Gestalten seien. Sie vermutete die Absicht der ukrainischen Regierung, die Kriminellen aufzurüsten um das Land nach der Übernahme durch Russland unregierbar zu machen. Mit den Waffen würden nach ihrer Einschätzung wahrscheinlich mehr Ladenbesitzer überfallen als russische Soldaten getötet.